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Volker Wissing

Quelle: BMDV

Herr Wissing, 2023 kam die Bahn verlässlich zu spät. Wie schlimm wird es 2024?

Die Verkehrsleistung der Bahn ist so hoch wie nie. Gleichzeitig wurde in den vergangenen Jahrzehnten das Schienennetz von den Vorgängerregierungen stark vernachlässigt, die Infrastruktur ist deshalb extrem störanfällig. Das haben wir sofort nach Regierungsübernahme in Angriff genommen. Aber im Infrastrukturbereich können in zwölf Monaten keine spürbaren Veränderungen erzielt werden. Das braucht einen gewissen Vorlauf. Eine erste Verbesserung werden die Bahnkunden spüren, wenn der erste Hochleistungskorridor saniert ist.

Also gibt es Hoffnung auf eine Verbesserung schon im nächsten Jahr?

Ja. Rechtzeitig zum Weihnachtsverkehr 2024 planen wir die Wiedereröffnung der Riedbahn.
Viele Züge holen sich ihre Verspätung auf diesem Korridor, das hat große Auswirkungen auf das gesamte Netz. Die Sanierung der Riedbahn wird also auch Verbesserungen bei der Pünktlichkeit in Flensburg und in München bewirken.

Können Sie den Ärger vieler Bürger verstehen, die sich fragen: Warum kriegen Bahn- Manager Boni in Millionenhöhe, wenn die Bahn so unpünktlich ist?

Ich kann das nachvollziehen. Eine variable Vergütung der Vorstände ist aber fester Bestandteil der Vereinbarung aus Zeiten der großen Koalition. Erstaunlicherweise war die Frage der Pünktlichkeit bisher kein relevantes Kriterium für die Auszahlung. Das wird nun aber erstmals korrigiert und zwar durch die in diesem September vom Aufsichtsrat der DB AG beschlossene Veränderung des Vergütungssystems der Vorstände. Die laufende Auszahlung betrifft noch das Jahr 2022.

Am 1. Januar geht auch die neue Infrastruktursparte der Bahn – die InfraGO – an den Start. Was verändert sich?

Wir schaffen damit die Voraussetzungen für unsere Bahnreform. Wir verschmelzen die DB Station und Service mit der DB Netz AG und schaffen eine Infrastruktursparte aus einem Guss. Bei der Infrastrukturgesellschaft InfraGO geht es dann nicht mehr nur um die Gewinnmaximierung, sondern vor allem darum, langfristig die Infrastruktur zu erhalten und zu modernisieren, damit sie den Bedürfnissen unserer Gesellschaft gerecht wird.

Eigentlich setzt die FDP doch auf Marktwirtschaft. Aber die Bahn soll gemeinwohlorientiert ticken?

Die Bahn muss sich natürlich dem Wettbewerb stellen. Aber die Investitionen in die Schieneninfrastruktur sind so groß, das ist kein profitables Geschäft – und deshalb staatliche Daseinsvorsorge.

Der Verkauf von der Bahn-Tochter Schenker soll seinen Beitrag zur Sanierung des Schienennetzes tragen. Am Dienstag hat die Bahn das Bieterverfahren gestartet. Ist das angesichts des schwierigen Marktumfeld wirklich ein guter Zeitpunkt?

Wir wollen Schenker nicht veräußern, um die Bahn zu schwächen. Im Gegenteil. Das Kapital soll im Unternehmen verbleiben und die Bahn soll sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Aber wir wollen die internationale Entwicklung Schenkers nicht dadurch einschränken, dass wir als öffentlicher Eigentümer eine andere Erwartungshaltung haben. Deswegen halten wir das für den richtigen Zeitpunkt. Wir stehen aber nicht unter Zeitdruck.

Auch ein Investor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ist als Käufer im Gespräch. Zählt bei dem Verkauf nur der Preis oder spielen auch Sicherheitsaspekte eine Rolle?

Wenn es um ausländische Investoren geht, gibt es neben dem Preis immer weitere Fragen zu klären. Die werden wir uns natürlich anschauen. Sofern am Ende des Prozesses ein ausländischer Investor den Zuschlag erhalten soll, erfolgt wie in anderen Fällen eine Investitionsprüfung nach dem Außenwirtschaftsgesetz.

Nach dem Karlsruher Haushaltsurteil hat die Finanzierung der Bahnreform gewackelt, jetzt soll es „kreative Wege“ der Finanzierung geben, auch eine Kapitalerhöhung. Wie sieht diese konkret aus?

Das ist ein komplexer Vorgang, der im Moment im Finanzministerium ausgearbeitet wird. Wir sind froh, dass wir uns innerhalb der Koalition auf einen Finanzrahmen verständigt haben, der innerhalb dessen liegt, was wir als notwendig erachten: bis zu 45 Milliarden Euro bis 2027.

Das Geld soll auch durch Privatisierungserlöse in der Zukunft aufgebracht werden. Bräuchte man da nicht mehr Klarheit?

Die wird kommen, daran wird aktuell gearbeitet. Für uns ist entscheidend, dass die Summe stimmt.

Damit sind wir bei der Haushaltskrise. Anstatt einer Kerosinsteuer soll es zum Stopfen der Haushaltslöcher eine höhere Ticketsteuer geben. Warum wurde jetzt dieser Weg gewählt?

Wir müssen alles vermeiden, was unsere Luftverkehrswirtschaft einseitig trifft und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit einschränkt. Mit der Luftverkehrssteuer erfassen wir die Flüge aller Luftverkehrsunternehmen, die ab Deutschland fliegen. Diese Lösung ist also für den inländischen Markt wettbewerbsneutral. Die Kerosinbesteuerung hätte demgegenüber „Tanktourismus“ begünstigt und hätte es uns außerdem erschwert, den Luftverkehr zu dekarbonisieren, weil sie leicht umgangen werden kann. Fluggesellschaften könnten einfach an ihren ausländischen Drehkreuzen unbesteuertes Kerosin tanken. Deswegen habe ich mich von Beginn an für eine europäische Luftverkehrsabgabe eingesetzt. So steht es übrigens auch im Koalitionsvertrag.

Wegen der Haushaltskrise wurde auch die Förderung für Elektroautos gestrichen, was die Verkaufszahlen im nächsten Jahr um 200.000 drücken könnte. Was bedeutet das für die Mobilitätswende?

Die Prämie liegt in der Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministers. Für uns war aber immer klar, dass der Umweltbonus nicht auf Dauer bezahlt werden kann. Solche Prämien werden irgendwann in den Preis integriert und sind keine Dauerlösung. Wir müssen eher Anreize setzen, damit die Automobilindustrie günstigere Fahrzeuge produziert.

War es aber nicht ein schwerer Fehler, die Subvention sofort auslaufen zu lassen? Viele Bürger fühlen sich veräppelt.

Der Ausstieg aus einer Subvention ist immer schwierig, vor allem dann, wenn er überraschend kommt.

Ist das erst der Einstieg in den Ausstieg umweltschädlicher Subventionen, nehmen Sie noch andere Staatshilfen wie das Dieselprivileg in den Blick?

Den Abbau umweltschädlicher Subventionen finden abstrakt erst einmal alle gut. Wenn es dann aber konkret wird, liegt der Teufel im Detail. Dafür ist das Dieselprivileg ein gutes Beispiel: Wenn wir jetzt sagen würden, dass diese Vergünstigung ausläuft, die vom Staat eingeführt worden ist, um einen Anreiz zu geben, teurere Dieselautos mit weniger Kraftstoffverbrauch zu kaufen, dann werden das viele Berufspendler als äußerst ungerecht empfinden.

Subventionsabbau ist der FDP doch wichtig. Jetzt klingen Sie so, als wäre das kaum möglich.

Nein, wir kommen doch voran, wie die Beschlüsse zeigen. Und wir kommen im Verkehrsbereich auch beim Kampf gegen den Klimawandel voran. Wir haben im Gegensatz zu anderen Bereichen keine steigenden Emissionen und sind auf dem Abbaupfad.

Sie verstoßen im Verkehrssektor aber weiter gegen die Klimaziele.

Im Verkehr können Sie keine schnellen Erfolge erzielen. In den vergangenen Jahren waren umweltfreundliche Angebote noch gar nicht im großen Umfang verfügbar. Das ändert sich jetzt sukzessive. Die Bundesregierung hat in diesem Dezember die CO2-bezogene LKW-Maut eingeführt. Gleichzeitig wächst im gesamten Fahrzeug-Bereich die Modellpalette mit sauberen Antrieben. Und wir bauen parallel die entsprechende Ladeinfrastruktur auf.

Vor drei Wochen verurteilte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den Bund zu Sofortmaßnahmen, um die Klimaziele zu erreichen. Wie sehen Ihre Maßnahmen aus?

Deutschland hat insgesamt die Klimaschutzziele eingehalten, da sind schärfere Maßnahmen den Menschen nicht vermittelbar. Schärfere Maßnahmen im Verkehrssektor hießen z.B. Fahrverbote. Genau deshalb schafft die Bundesregierung die Sektorbetrachtung ab, die auf die große Koalition zurückgeht und auf der das Urteil ja noch fußt.

Das heißt, Sie werden Revision einlegen?

Ja, ich habe mich bereits nach der Urteilsverkündung dafür ausgesprochen.

Die Bundesregierung schließt das Haushaltsloch auch mit einem höheren Co2-Preis. Sind die Zusatzbelastungen nicht schwer vermittelbar, wenn gleichzeitig versprochene Entlastungen wie das Klimageld ausbleiben?

Jetzt geht es zunächst einmal um den Haushalt 2024. Laut dem Bundesverfassungsgericht muss Generationengerechtigkeit in vielerlei Hinsicht gewahrt werden: einmal durch eine Begrenzung des Klimawandels, und durch eine Begrenzung der Staatsverschuldung. In diesem Spannungsfeld hat die Bundesregierung eine ausgewogene Lösung erarbeitet.

Landes-Verkehrsminister schlagen Alarm, wegen der Haushaltsengpässe sei das Deutschlandticket gefährdet. Zu Recht?

Nein. Es ist wirklich ärgerlich, wenn die Länder das Ticket immer wieder in Frage stellen und den Bürgern den Bären aufbinden, der Bund lehne eine gemeinsame Finanzierung ab. Das verunsichert nur und schadet dem Erfolg des Tickets. Die finanziellen Rahmenbedingungen sind klar gesetzt und auch von den Ministerpräsidenten mehrfach bestätigt. Dazu stehen wir.

Sie sind auch Digitalminister. Wird die Digitalisierung unter der Haushaltskrise leiden?

Nein. Wir sind bei der digitalen Infrastruktur auf der Überholspur. Wir haben inzwischen 97 Prozent Abdeckung mit 4G und 89 Prozent Abdeckung mit 5G. Auch beim Breitbandausbau ist das Tempo hoch. Bereits heute können drei von zehn Haushalten in Deutschland leistungsfähige Glasfaseranschlüsse nutzen. Das sind 50 Prozent mehr als vor einem Jahr. So schnell wie jetzt ging der Ausbau noch nie voran. Wir liegen voll im Plan, unsere Ziele zu erreichen.

Sie haben sich dafür ausgesprochen, dass Huawei Komponenten im 5G-Netz verbauen darf, das Innenministerium ist skeptisch, Teile der kritischen Infrastruktur in die Hand chinesischer Konzerne zu legen. Warum sind Sie dafür?

Das ist so nicht richtig, es wird mir nur immer unterstellt. Richtig ist: Wir müssen die Überprüfung der Sicherheitsfragen abwarten, bevor wir eine finale Bewertung abgeben.

Aber gibt es nicht ein Eckpunktepapier des Innenministeriums, das auf einer Sicherheitsprüfung fußt?

Ich kenne ein solches Papier nicht. Es wird nur immer öffentlich aus Kreisen des Innenministeriums berichtet. Hörensagen reicht mir aber für eine Entscheidung von solcher Tragweite nicht. Das müssen wir innerhalb der Bundesregierung mit der gebotenen Ernsthaftigkeit prüfen und abwägen. Das tun wir.

Sie sagten, Sie werden die Ziele für den Gigabit-Ausbau erreichen. Unterboten haben Sie die Ziele bei der Digitalisierung der Verwaltung. Warum geht es so langsam voran?

Da müssen Sie die Verantwortlichen schon richtig benennen. Ein Beispiel: Der Bund hat seit dem 1. September volldigitale Kfz-Zulassungen für alle Kommunen im Angebot. Aber das Angebot wird nur von rund einem Drittel der Kommunen genutzt. Oder nehmen Sie das Deutschlandticket. Ich habe mich für ein digitales Ticket eingesetzt, die Länder bitten nun aber erneut darum, das Übergangsticket in Papierform zu verlängern, weil viele Verkehrsunternehmen digital noch nicht so weit seien. Das ist eine Politik, die Deutschland in den Rückstand führt. Dafür ist aber nicht der Bund verantwortlich.

Es gibt eine neue Studie vom IW Köln, nach der die Unternehmen in Deutschland zuerst bei der Digitalisierung kürzen wollen. Gibt Ihnen das zu denken?

Ich halte das für ein sehr riskantes Vorgehen. Künstliche Intelligenz wird immense Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen haben. Deshalb müssten sie eigentlich gerade jetzt mehr in Digitales investieren.

Ist das neue KI-Regelwerk der EU, den AI Act, den das EU-Parlament beschlossen hat, ein Schritt in die richtige Richtung?

Ich fand die Äußerung von Frau von der Leyen bemerkenswert, es sei eine Riesenchance, dass wir als erster Kontinent regulieren. Regulierung ist doch kein Selbstzweck. Die Frage, ob das eine Chance ist, hängt nicht davon ab, ob die europäische Regulierung vor der Regulierung anderer kommt. Sondern davon, ob die europäische Regulierung dazu führt, dass die Innovationen bei uns entwickelt werden oder ob Innovationen einen Bogen um uns machen. Sollte Letzteres der Fall sein, ist das schnelle Regulieren keine Chance, sondern eine schwere Last.

Für die kleineren Modelle gibt es erstmal nur die Transparenzpflicht, erst die größeren Modelle werden stärker reguliert. Ist das kein guter Ansatz?

Das sehen wir als größtes Risiko für die Kleinen. Denn dahinter verbirgt sich möglicherweise ein Schutz der Großen. Wenn Sie für die größeren Modelle höhere Sicherheitsstandards haben, kann der Marktzugang für die Kleinen zu einer unüberwindbaren Barriere werden. Die Regulierung sollte nicht so aufgebaut werden, dass das Vertrauen in die KI großer Unternehmen größer ist, als das Vertrauen in die KI mittelständischer Unternehmen oder Startups. Das ist kein faires Wettbewerbsumfeld.

Aber was ist dann die Lösung?

Man sollte eine Regulierung wählen, die jeder erfüllen kann. Gerade in einem sich schnell entwickelnden Markt brauchen wir anpassungsfähige Regeln. Wir haben uns deshalb für eine verpflichtende und verbindliche Selbstregulierung ausgesprochen. Wir haben uns auch auf G7-Ebene für eine Selbstverpflichtung der Unternehmen eingesetzt. Wir können ja jederzeit nachjustieren. Dinge, die wir rund um KI heute noch nicht wissen, sind uns nächstes Jahr vielleicht schon klarer.

Das Jahr 2023 war für die Ampel ein Jahr des Streits. Haben Sie irgendeine eine Hoffnung, dass es 2024 besser wird?

Wir haben ein schwieriges Jahr hinter uns - mit vielen außergewöhnlichen Krisensituationen, die wir gemeinsam meistern mussten. Aber es ist nicht so, dass die Ampel nicht in einen besseren Rhythmus finden kann. Auch die Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz, der ich angehörte, hatte zu Beginn Schwierigkeiten. Danach wurde es besser und bis heute sehr erfolgreich.

Das Superwahljahr 2024 spricht dagegen, dass es besser wird.

Eine Regierung kann an schwierigen Situationen wachsen.

Das Interview führten Josefine Fokuhl und Martin Greive.